Italien in vollen Zügen

Tim Parks: Italien in vollen Zügen. Verlag Antje Kunstmann, München, 2014.

Die italienische Bahn steckt voller Rätsel. Neulich kam ich in Fiumicino an, hatte bereits zu Hause im Netz eine Fahrkarte nach Termini gekauft und bestiegt frohgemut den Zug. Da das Flugzeug etwas früher als geplant ankam und ich nur Handgepäck hatte, war alles wunderbar schnell gegangen, und ich freute mich, früher in Rom zu sein als erwartet. Der Schaffner macht die Freude jedoch rasch zunichte : Ich hatte einen zu frühen Zug genommen, meine Fahrkarte war noch nicht gültig, ich war war mithin ohne gültigen Fahrausweis unterwegs und mußte fünfzig Euro Strafe zahlen. Tim Parks , unser Verfasser, ist gebürtiger Engländer. Er arbeitet als Professor an einer Universität in Mailand, wohnt aber in Verona und fährt stets mit dem Zug zur Arbeit. Was er dabei in dreißig Jahren erlebt hat, schildert er in diesem Buch. Die Bemühungen der italienischen Staatsbahnen um Modernisierung, die Nöte der Passagiere, das manchmal über das Ziel hinausschießende, wenig hilfreiche Pflichtbewußtsein mancher Bahnbeamten, die Megalomanie beim Umbau des Mailänder Hauptbahnhofs, die gelegentlich grellen Merkwürdigkeiten beim organisatorischen Umbau der Staatsbahnen, all das wird humorvoll erzählt. Parks hat aber auch ein genaues Auge auf die Benutzer der Bahn und sieht, wie sich die oft unerklärlichen und wenig an den Nutzern orientierten Umstrukturierungen auf die Leute auswirken, die auf die Bahn angewiesen sind. Der Spagat zwischen glanzvoller Modernisierung mit Hochgeschwindigkeitszügen auf eigener Trasse und breiter Nutzbarkeit wird oft – denken wir an das Schlagwort von der bella figura – zu Lasten der breiten Nutzbarkeit des Verkehrsmittels aufgelöst, kurz: Wir erkennen die Charakteristika der italienischen Politik auch in seinem Eisenbahnwesen (Parks arbeitet nebenher die Rolle der Eisenbahnen im Einigungsprozeß sorgfältig heraus). Zu den sehr vergnüglichen Passagen gehört die Schilderung einer Eisenbahnreise in den Süden, nach Sizilien und Kalabrien, der mißglückte Versuch, von Palermo nach Modica mit dem Zug zu fahren, die Entdeckung einer zwar staatlichen, aber doch separaten Eisenbahngesellschaft im Südosten, die Fahrt nach Otranto und nach Lecce.

Das Buch gibt einen schönen Einblick in das heutige Italien, scheinbar aus einer sehr speziellen und eher randständigen Perspektive. Aber wie das so ist mit speziellen Sichtweisen: Sie eröffnen gern einen anderen, interessanten und aufschlußreichen Blick auf ihr Objekt. So ist das auch hier.

 336 Seiten, ISBN 978-3888979712 ;19,95 Euro

Dr. Doberkat