Geißelung Christi

Silvia Ronchey, L´enigma di Piero. L´ultimo bizantino e la crociata fantsama nella rivelazione di un grande quadro.Rizzoli, Milano, 2006

Die Geißelung Christi von Piero della Francesca, die heute im herzoglichen Palast in Urbino hängt, ist  ein ziemlich geheimnisvolles Gemälde. Die Datierung ist nicht ganz  sicher, sie wird in die Zeit zwischen 1444 bis 1473 gelegt. Die  Interpretation des Bildes schwankt ebenfalls in einem breiten Intervall, man spricht von etwa fünfzehn Interpretationen. Herausgegriffen sei die neulich von B. Roeck vorgeschlagene, die das Bild als Anklage an Herzog Federico da Montefeltro interpretiert, und die im Buch von Frau Ronchey vorgelegte.

S. Ronchey ist Professorin für Klassische Philologie und Byzantinische  Zivilisation an der Universität Siena, es ist daher wenig verwunderlich, wenn Byzanz in ihrer Interpretation und in ihrem Buch eine  hervorgehobene Rolle spielt. Das Buch stellt die Geißelung in den  Kontext der Eroberung von Byzanz durch die Türken im Jahre 1453 und die politischen Machinationen vor allem in Italien und der Kirche, die  Stadt den Türken wieder zu entreißen. Eine wesentliche Figur ist hierbei der Piccolomini-Papst Pius II, aber auch Kardinal Bessarion, der,  ursprünglich Bischof der orthodoxen Kirche und im Laufe des Konzils von  Ferrara-Florenz in den Westen gewechselt, als führender Intellektueller  und Motor der Rückeroberungsbewegung geschildert wird.

Das Buch gibt einen breiten Einblick in die Zeit zwischen dem Konzil von  Ferrara-Florenz 1438/39 und dem Tod Pius II in Ancona im Jahre 1464. Es  vermittelt einen reichen Eindruck von der Arbeitsweise der beteiligten  Politiker und Künstler. Hierzu gehört SigismondoMalatesta aus Rimini, der eine Expedition in das ehemalige byzantinische Despotat Morea, also den Peloponnes, zur Befreiung seiner Schwester geplant  hat, hierzugehört Pius II, der zusammen mit dem Kardinal  Bessarion die Reliquien des Heiligen Andreas in Empfang nimmt (Pius II  ist in S. Andrea della Valle in Rom begraben), und eben Piero della Francesca, dessen Gemälde als Aufruf zur Rückeroberung von Byzanz verstanden und interpretiert wird.

Die Autorin diskutiert das Bild und den Kontext, in dem es in ihrer  Interpretation steht. Sie gibt der Diskussion Tiefenschärfe durch die  gründliche Betrachtung vieler Details. So wird etwa die Form des Hut des Offizials, der die Geißelung beaufsichtigt, eingehend und ausführlich  besprochen (und auf den Hut des byzantinischen Kaisers Johannes VIII  Paleologus durch ausführlichen Vergleich mit einer Medaille von  Pisanello zurückgeführt), Gewänder werden verglichen, etwa mit denen in  Pieros berühmten Fresken zum Heiligen Kreuz in San Francesco in Arezzo.  Zum Verständnis der Entwicklung notwendige Exkurse diskutieren etwa  Ausgrabungen auf dem Peloponnes von Klöstern des fünfzehnten  Jahrhunderts und machen sie gelegentlich auf Umwegen für die  Interpretation des Bildes nutzbar.

Die Person des Künstlers tritt in dieser Interpretation etwas zurück,  vielleicht auch deswegen, weil über die näheren Umstände des Gemäldes  selbst nicht allzuviel bekannt ist. Insbesondere kennt man weder seinen  Auftraggeber noch seine ursprüngliche Intention. Im Buch, das es  inzwischen auch als Paperback gibt, findet sich eine ausführliche  Kommentierung der Quellen, die im Netz noch um ein Vielfaches ergänzt  wird.

Dr. Ernst-Erich Doberkat, 4. März 2014

1 Bernd Roeck: Mörder, Maler und Mäzene. Piero della Francescas  Geißelung. Eine kunsthistorische Kriminalgeschichte. C. H. Beck, München 2006